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Provenienzforschung: Die Herkunft erforschen

Sie kennen das sicher: Man schaut beim Gemüseeinkauf im Supermarkt auf das Label und sieht die Herkunft: Blaubeeren aus Peru oder Weintrauben aus Südafrika. Was für eine weite Reise für die kleinen Früchte. Auch im Etikett von Anziehsachen suchen wir nach der Herkunftsangabe. Oft finden wir „made in india“ und wissen dann auch von den Arbeitsbedingungen der Baumwollpflücker, Färber  und Näher.

Auch die Museen in Sachsen-Anhalt stellen sich stets den Fragen, von wem und unter welchen Umständen Kulturgüter weitergegeben wurden und wie diese in die Sammlungen gekommen sind. Provenienzforschung ist der Fachbegriff für diese Untersuchung der Herkunft und (Besitz-)Geschichte von Kulturgütern und Objekten aller Art. Provenienz-Einträge gehören seit Langem zur Dokumentation im Museum. Schon in Inventarbüchern fürstlicher Sammlungen sind Vorbesitzer und Herkunft vermerkt.

Seit einigen Jahren gibt es einen regelrechten Aufschwung der Provenienzforschung. So wie sich die Frage nach der Herkunft im Alltag zu einem Maßstab unseres Handelns, etwa im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeit, entwickelt hat, so ist es die Provenienzfrage im Kulturbetrieb und in den Geisteswissenschaften im Hinblick auf Unrechtskontexte unserer Geschichte. Der „provenancial turn“, so der von Christoph Zuschlag (Kunsthistoriker Universität Bonn) geprägte Begriff für die Wendung hin zur Herkunft, beeinflusst nicht nur die Kunstgeschichte. Gerade die praktische Museumsarbeit wird davon verändert und eröffnet neue Erzählebenen, die bildungspolitisch relevant sind und Unrecht aufarbeiten.

Koloniale Kontexte

Provenienzforschung im Hinblick auf koloniale Kontexte unterstützt Museen dabei, sich mit ihrem kolonialen Erbe auseinanderzusetzen und darüber in einen transparenten und konstruktiven Dialog zu treten.

Die Kolonisierung begann im 15. Jahrhundert als – zumindest aus europäischer Perspektive – die Welt entdeckt wurde: Expeditionen, Aufbau von Handelskontakten, christliche Missionierung, Besiedelung, formale Unterstellung unter die Kolonialmacht, informelle Durchdringung und in nicht wenigen Fällen gewaltsame Eroberung und Unterwerfung, Völkermorde und Ausbeutung folgten. Dabei entstanden – auch durch das gezielte Betreiben einzelner Museen – Netzwerke und Praktiken, die das Sammeln in europäischen Museen unterstützten.

Bei Kulturgut, das im Zuge der kolonialen Expansion nach Europa verbracht wurde, stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit beim Erwerb. Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten kann sich nicht nur in ethnologischen, sondern in allen Museen und Sammlungen befinden. Monika Grütters, Bundeskulturministerin, regt eine aufrichtige Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit und einen verantwortungsvollen Umgang mit derartigen Kulturgütern an.

NS-Kunstraub

Tausende Kunstwerke, Bücher und Alltagsgegenstände wurden seit dem 30. Januar 1933 bis Ende des Zweiten Weltkriegs NS-verfolgungsbedingt entzogen, verkauft und verlagert. Das ursprüngliche Eigentum von jüdischen Bürger:innen und vielen anderen Verfolgten gelangte in der Folge auch in unsere Museumsbestände. Die moralische Verpflichtung zur Erforschung und Restitution an die Eigentümer:innen und Nachfahren, die aus der Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung von 1998 durch die Bundesrepublik Deutschland und der Gemeinsamen Erklärung von Bundesregierung, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden erwächst, gilt auch für die Museen in Sachsen-Anhalt.

SBZ/DDR-Unrecht

Bodenreform, Schlossbergung, Rücklässe von Republikflüchtlingen, Liquidationen mit Vermögenseinzug, Zollbeschlagnahmungen und fingierte Steuerverfahren – das waren in der Sowjetischen Besatzungszone (1945 bis 1949) und in der Deutschen Demokratischen Republik (1949 bis 1990) Varianten des Entzugs von privatem Kulturgut. Heute befinden sich zahlreiche Objekte mit kritisch zu hinterfragenden Provenienzen dieser Zeit in Museumssammlungen, auch in westlichen Bundesländern.

Koordinierungsstelle Provenienzforschung

Der Museumsverband Sachsen-Anhalt e. V. unterstützt und berät die Museen in ihren Bemühungen, die Erwerbsbiografien (= Provenienzen) ihrer Objekte zu erforschen. Da die Aktenlagen in den Museen nicht selten unzureichend sind und gerade auch kleineren Museen die finanziellen und personellen Ressourcen für weitergehende Recherchen fehlen, stockt die Provenienzforschung oftmals. Daher hat das Land Sachsen-Anhalt seit Juni 2019 die Koordinierungsstelle Provenienzforschung NS-Raubgut am Museumsverband Sachsen-Anhalt e. V. eingerichtet. Zu ihren Aufgaben gehört die Anregung von fachlichem Austausch, die Hilfestellung bei Projektanträgen, die methodische Unterstützung und die Umsetzung der Transparenz durch Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit. Das soll den Museen mehr Sicherheit beim Umgang mit Objekten unklarer oder verdächtiger Herkunft sowie eine transparente Außendarstellung ermöglichen.