Landesgeschichte Sachsen-Anhalt
Vielfältige Geschichtslandschaft
Obwohl das Land Sachsen-Anhalt – wie die meisten deutschen Bundesländer – ein Ergebnis der territorialen Neuordnungen des 20. Jahrhunderts ist, besitzt das Gebiet des Landes eine lange, wechselvolle und interessante Geschichte. So gehörten Teile der Region zu den Kernlandschaften ottonischer Königs- und Kaiserherrschaft, wovon noch heute zahlreiche Monumente zeugen. Seit dem 11. Jahrhundert prägten Angehörige eines Adelsgeschlechts, das später als „die Askanier“ bezeichnet wurde und als dessen wichtigster mittelalterlicher Vertreter Markgraf Albrecht der Bär (gest. 1170) gilt, weite Teile des heutigen Landes, unter anderem im Harz, in der Altmark und bis 1422 im Herzogtum bzw. Kurfürstentum Sachsen-Wittenberg. Eine Linie der Askanier herrschte zudem im Fürstentum Anhalt, das sich seit dem 13. Jahrhundert ausbildete und bis zum 20. Jahrhundert ein eigenständiges Territorium blieb.
Als weitere Kernterritorien des Landes können geistliche Herrschaftsbildungen angesprochen werden, so das Erzstift Magdeburg mit der Residenzstadt Halle (1680 in ein Herzogtum umgewandelt und dem Territorienkomplex der Kurfürsten von Brandenburg zugeschlagen), das Hochstift Halberstadt (1648 als Fürstentum ebenfalls an Kurbrandenburg gefallen), die Hochstifte Merseburg und Naumburg-Zeitz (nach der Reformation dem sächsisch-wettinischen Herrschaftsbereich eingegliedert, aber im 17. Jahrhundert zum Teil zur Ausstattung sächsischer Sekundogenituren verwendet) sowie das freiweltliche Damenstift Quedlinburg. Im Harz und Vorharz kamen kleinere weltliche Territorien hinzu, so die Grafschaften Stolberg und Mansfeld. Die kleinräumige Herrschaftsstruktur war mit dafür verantwortlich, dass sich zahlreiche Residenzorte und kulturelle Zentren im Gebiet des heutigen Landes entwickelten.
Nach den Umbrüchen der napoleonischen Zeit fielen große Teile des heutigen Sachsen-Anhalt an das Königreich Preußen. Sie wurden mit den bereits länger zur brandenburg-preußischen Herrschaft gehörenden Territorien der Region zur Provinz Sachsen vereinigt. Während die Provinzialverwaltung mit dem Oberpräsidenten an der Spitze in Magdeburg residierte, tagte der Provinziallandtag in Merseburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Provinz Sachsen (ohne den Regierungsbezirk Erfurt) mit Anhalt vereinigt und 1947 zum Land Sachsen-Anhalt erhoben. Die 1952 beschlossene Gebietsreform in der DDR schaffte die Länder ab, an deren Stelle Bezirke (hier vor allem Halle und Magdeburg) traten. Mit der Wiedervereinigung 1990 wurde das Land Sachsen-Anhalt mit leicht veränderten Grenzen wiedererrichtet.
Landesgeschichte als Disziplin
Landesgeschichte ist nicht nur eine traditionsreiche Teildisziplin der Geschichtswissenschaften, die sich den mittleren und kleineren Räumen unterhalb der Nationalstaatsebene widmet, sondern steht auch im Schnittfeld gesellschaftlicher Orientierungsbedürfnisse und föderaler Kulturpolitik. Gerade in einem Land wie Sachsen-Anhalt – mit heterogenen Wurzeln und territorialen Traditionen – wird eine starke landesgeschichtliche Forschung benötigt. Sie stellt die Grundlagen für die Auseinandersetzung mit dem reichen historischen Erbe des Landes bereit und erarbeitet Deutungsangebote für die Beschäftigung mit der Vergangenheit im regionalen Rahmen.
Kennzeichnend für Landesgeschichte ist nicht nur eine thematische, sondern auch eine epochale Breite. Traditionell gehören das Mittelalter und die Frühe Neuzeit zu den besonders in den Blick genommenen Zeitabschnitten. Die Siedlungsgeschichte sowie die Herausbildung und Entwicklung von Herrschaft und Staatlichkeit in den einzelnen Territorien des Reiches bilden klassische Untersuchungsfelder. In jüngerer Zeit sind modernere Raumkonzepte (z.B. „Landschaft“, „Kommunikationsraum“, „mental maps“) hinzugekommen, auch die Beschäftigung mit Erinnerungsorten und regionalen Identitätsentwürfen spielt zunehmend eine Rolle.
Neben der vormodernen Landesgeschichte ist die Landeszeitgeschichte hervorzuheben. Die Zeitgeschichtsforschung des Landes Sachsen-Anhalt widmet sich als „Problemgeschichte der Gegenwart“ (Hans Günter Hockerts) der spannungsreichen und von Umbrüchen geprägten jüngeren Vergangenheit des Landes. Dieser Zugriff schließt zum einen die politische Geschichte des Landes sowie seiner Vorgängerterritorien in insgesamt fünf politischen Systemen seit dem 19. Jahrhundert ein. Zum anderen betrachtet die Landeszeitgeschichte die Geschichte sich überlagernder und konkurrierender Ordnungs- und Wissenssysteme sowie Identitäts- und Zugehörigkeitsentwürfe. So stärkt sie die Reflexivität der Geschichtskultur des Landes.
Institut für Landesgeschichte am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie
Im Jahr 2020 beschloss das Land Sachsen-Anhalt die Gründung eines Instituts für Landesgeschichte, das dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie als Abteilung 6 angegliedert wurde. Damit wurde dem vielfach artikulierten Bedürfnis nach institutioneller Stärkung landeshistorischer Forschung und Vermittlung in Sachsen-Anhalt Rechnung getragen. Die Arbeit konzentriert sich auf folgende Schwerpunkte:
- Initiierung und Durchführung von Forschungsprojekten, sowohl in der Grundlagenforschung (Quelleneditionen, Handbücher) als auch in der themenbezogenen Projektforschung, darunter die Beschäftigung mit regionaler und lokaler Chronistik, mit der Industriegeschichte, mit der jüdischen Geschichte sowie mit der Geschichte der innerdeutschen Grenze.
- Vermittlung landeshistorischen Wissens an die Öffentlichkeit in Form von Publikationen, Vorträgen und Tagungen;
- Vernetzung mit den landeshistorischen Akteuren und Partnern innerhalb und außerhalb des Landes (Historische Kommission, Geschichtsvereine, Archive, Museen, Stiftungen, landeshistorische Forschungsinstitute der Nachbarländer);
- Mitwirkung an der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses (universitäre Lehre, Betreuung von Qualifikationsarbeiten).