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Interview zum angelaufenen Projekt Salzwedel/Stendal

Interview mit Corrie Leitz

„Verdachtsmomente klären – vertiefende Provenienzforschung im Altmärkischen Museum Stendal und Danneil-Museum Salzwedel“ heißt das Projekt, das nun dem Erstcheck in beiden Häusern im Jahr 2017 folgt. Dieses Projekt wird vom Land Sachsen-Anhalt sowie der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste gefördert.

Frau Leitz, Sie haben am 1. Februar 2021 das Projekt begonnen. Worum geht es bei diesem Projekt genau?

Corrie Leitz: Unser Projekt knüpft an den Erstcheck an, welcher 2016/17 ebenfalls im Auftrag des Museumsverbandes Sachsen-Anhalt e. V. und mit Förderung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in fünf Museen unseres Bundeslandes durchgeführt wurde – darunter das Danneil-Museum Salzwedel und das Altmärkische Museum Stendal. Dabei ergaben sich erste Hinweise, dass sich in den Sammlungen beider Museen Objekte befinden, für die ein Verdacht besteht, dass sie ihren Eigentümern während des Nationalsozialismus entzogen worden sind und entweder direkt oder auf Umwegen, teils sogar deutlich später, in den Museumsbestand gelangten. Dazu zählen Judaica, darunter jüdische Ritualgegenstände oder auch Schriftgut und Bücher, für die eine Herkunft aus den 1938 geschändeten Synagogen, aber auch aus Haushalten jüdischer Mitbürger vermutet werden kann. Außerdem gibt es Objekte aus den in beiden Städten bestehenden, jedoch 1935 durch die Nationalsozialisten aufgelösten Freimaurerlogen bzw. dem persönlichen Besitz ihrer Mitglieder. Dazu kommen sehr viele Objekte, die zwischen 1933 und 1945 ins Museum kamen und deren Umstände ihrer Einlieferung in die Sammlungen unklar sind. Insgesamt sollen in beiden Museen etwa 800 Objekte untersucht werden.

Ziel der begonnenen Tiefenrecherche ist es zum einen, die Verdachtsmomente näher zu beleuchten, um für möglichst jedes dieser Stücke den Anfangsverdacht zu bestätigen oder zu entkräften. Zum anderen geht es um grundlegende Recherchen zu den am Sammlungszuwachs der NS-Zeit beteiligten Institutionen und Personen – seien es nun „Täter“ oder „Opfer“.

Können Sie eine der Personen herausgreifen und über diese Näheres erzählen?

Corrie Leitz: Dass der Fokus bei Regionalmuseen zuweilen auch auf die überregionale oder sogar internationale Ebene zu richten ist, zeigt der Fall Walter Neuling (1894–1973). Er war der erste Salzwedeler Museumsleiter in der Nachkriegszeit und selbst ein passionierter Sammler. Wie Mathias Deinert in einem Provenienzforschungsprojekt am Potsdam Museum festgestellt hat, fanden sich in seiner Privatsammlung u. a. Stücke, die eindeutig aus den von Deutschland im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten bzw. aus jüdischem Besitz stammen und wohl aufgrund der „guten Kontakte“ Neulings zu entsprechenden Stellen an ihn gelangten, sofern er sie nicht sogar selbst unrechtmäßig an sich brachte. Hier muss untersucht werden, ob einige dieser Stücke später in die Salzwedeler und Stendaler Museumssammlungen gelangt sind (Neuling war vor 1945 Mitglied im Altmärkischen Museumsverein Stendal).

Wie sehen denn solche Verdachtsmomente aus, wie erkennt man „verdächtige“ Stücke und wie gehen Sie vor?

Corrie Leitz: Für manche Objektgruppen besteht sozusagen „per se“ ein Anfangsverdacht. Dazu gehören Judaica und Masonica, also Objekte in Verbindung zur jüdischen Religion und zur Freimaurerei. Bei diesen relativ einfach zu identifizierenden Objekten besteht – wenn sie bis 1945 entstanden sind – grundsätzlich die Möglichkeit eines Eigentumsentzugs aufgrund der Verfolgung von Juden und Freimaurern im Nationalsozialismus. Ähnliches gilt für Objekte aus dem Besitz anderer Verfolgtengruppen wie verbotener politischer Parteien und Organisationen, bestimmter Verbände oder auch einzelner Personen, die vom NS-Regime verfolgt wurden.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass man das einem Objekt nicht immer ansieht. So können ein Möbelstück, ein Gemälde, ein Buch oder ein normaler Haushaltsgegenstand aus dem Privatbesitz einer verfolgten Person oder Familie stammen. Bei manchen Objekten hat die Inaugenscheinnahme der Stücke beim Erstcheck bereits Hinweise auf eine mögliche solche Herkunft ergeben etwa durch handschriftliche Vorbesitzernamen oder -stempel in Büchern.

Um einen Verdacht zu bestätigen oder auch zu entkräften, sind in jedem Fall akribische Recherchen nötig. Neben der Begutachtung des Objekts selbst werden die Sammlungsdokumentationen der Museen, ihr teils überlieferter Schriftwechsel aus der NS-Zeit, vor allem aber auch Dokumente in externen Archiven auf Stadt-, Kreis-, Landes- und Bundesebene ausgewertet.

Woher wissen Sie, wer zu den gerade aufgezählten Verfolgten gehört, auf deren Namen Sie in den genannten Unterlagen stoßen könnten?

Corrie Leitz: Es ist mein Ziel, eine möglichst umfassende namentliche Übersicht der verfolgten und entrechteten Organisationen und Einzelpersonen zu erstellen, damit im Rahmen des Projekts, aber auch in Zukunft, bisher unerkannte Entzugskontexte identifiziert werden können. Das betrifft nicht nur die Städte Salzwedel und Stendal selbst, sondern die gesamte Altmark. Beide Museen bzw. deren Gründungsvereine waren in ihrer Sammeltätigkeit von vornherein regional ausgerichtet.

Wie wird am Ende damit umgegangen, wenn sich ein Verdacht bestätigt?

Corrie Leitz: Basis ist die „Washingtoner Erklärung“ von 1998, in welcher sich Deutschland zusammen mit mehr als 40 weiteren Staaten verpflichtet hat, in seinen öffentlichen Sammlungen nach NS-Raubgut zu suchen, Erben ausfindig zu machen und jeweils eine gerechte und faire Lösung zu finden. Das wird bei zweifelsfreien Fällen i. d. R. eine Rückübertragung an die ursprünglichen Eigentümer, deren Erben oder Rechtsnachfolger sein. In jedem Fall wird im Rahmen aller Provenienzforschung Transparenz hergestellt, indem u. a. alle mit einem begründeten Verdacht behafteten Objekte in der Lost Art-Datenbank publiziert werden.

Müssen die Museen und damit auch die Einwohner in Salzwedel und Stendal befürchten, dass im Ergebnis der Provenienzforschung die Museumsdepots leergeräumt werden?

Corrie Leitz: Nein. Zum einen sind letztlich meist nur wenige Stücke pro Museum betroffen, für die sich der Verdacht auf Eigentumsentzug bestätigt. Zum anderen ist es oft so, dass die Erben oder Rechtsnachfolger einem Verbleib der Objekte in der jeweiligen Institution zustimmen. Der Verbleib im Museum bietet ja die Chance, in der Ausstellung das vor Ort geschehene Unrecht öffentlichkeitswirksam vor dem Vergessen zu bewahren. Das ist häufig ein wichtiges Anliegen der Nachfahren.

Ansprechpartnerin

Corrie Leitz | wiss. Mitarbeiterin für Provenienzforschung
Museumsverband Sachsen-Anhalt e. V.
Käthe-Kollwitz-Str. 11
06406 Bernburg

E-Mail: leitz(at)mv-sachsen-anhalt.de